Zwischen den Jahren

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Die Story ist so schlicht wie ihr Held. Becker, ein Vornamen wird ihm nicht gegönnt, kommt auf Bewährung aus dem Knast. Er findet Job und, unverhofft, die große Liebe. Das Glück hält nicht lange. Ein verzweifelter Angehöriger von Beckers Opfern will Rache. Auge um Auge, gnadenlos. Der schnörkellose Psychothriller aus deutschen Landen überzeugt durch atmosphärische Dichte, lakonische Dialoge sowie exzellente Darsteller. Allen voran ein grandios leinwandpräsenter Peter Kurth, der für „Herbert“ nicht umsonst den Deutschen Filmpreis bekam. Ein ziemlich starkes Kino-Debüt, das die „Perspektive Deutsches Kino“ auf der Berlinale präsentierte!    

Webseite: www.temperclayfilm.de

D 2017
Regie: Lars Henning
Darsteller: Peter Kurth, Karl Markovics, Catrin Striebeck, Leonardo Nigro
Filmlänge: 97 Minuten
Verleih: temperclayfilm
Kinostart: 16.3.2017

FILMKRITIK:

„Ex oder Arschloch?“ - „Arschloch, ich steh’ dazu!“. Der Dialog am Tresen gibt den Tenor dieses Psychothrillers vor: Hart aber herzlich! Aus höfliche Mätzchen hat einer, der ganz unten ist, keine Lust. Becker (Peter Kurth), der Anti-Held, war Rocker. Bei einem Einbruch in eine Villa lief alles dramatisch schief. Er wurde überrascht, erschoss die Bewohnerin und deren Tochter. Nach 18 Jahren Knast kommt Becker auf Bewährung frei. Er findet einen Job als Wachmann. Viel Lust auf sein Leben hat er kaum noch. Das ändert sich, als er auf der Arbeit die Putzfrau Rita kennen lernt. Das kleine Glück hält nicht lange an. Plötzlich sieht sich Becker von einem Stalker bedroht. Dahlmann (Karl Markovics) fordert Vergeltung für seine ermordete Ehefrau und Tochter. Der Täter bittet ihn aufrichtig um Vergebung. „Sind Sie jetzt ein anderer Mensch?“ fragt Dahlmann höhnisch. Für sein zerstörtes Leben will das Opfer keine Reue gelten lassen.  
 
Während die düsteren Bilder, die vielfach bei Nacht entstanden, für das richtige Ambiente sorgen, glänzen die Dialoge mit lakonischem Minimalismus. „Ich bin nicht gut mit Menschen!“ kommentiert Becker knapp das Flirtangebot seiner Rita. „Können wir hier nicht einfach sitzen?“ bringt er das Tresen-Gespräch mit dem redseligen Kollegen zur Strecke. Auch mit dem Stalker macht er kommunikativ kurzen Prozess: „Das muss aufhören!“ kritzelt Becker auf einen Zettel, den er Dahlmann an das Autofenster klemmt
 
Rache- und Stalking-Filme gibt es wie Sand im Genre-Meer. Mit psychologischer Präzision der Figuren ausgestattet und ohne billige Show-Effekte aus der Klischeekiste wird die Auswahl schon drastisch kleiner. Aus deutschen Landen sind solche kleinen, dreckigen Thriller jenseits von wohltemperierter „Tatort“-Ästhetik erst recht Raritäten. Dass Regisseur Lars Henning sich jenseits der ausgelatschten Wege bewegt, hat er in seinem TV-Krimi „Kaltfront“ eindrucksvoll bewiesen. Die Kritiken fielen prompt euphorisch aus, was nun auch bei seinem Kinodebüt passieren dürfte. Als „Versuch eines moralisch ambivalenten Genre-Updates“, beschreibt er sein Konzept, bei dem die gängige Täter-Opfer-Konstellation auf den Kopf gestellt wird: Ein Mann sieht rot, und mutiert dabei immer mehr zur Bestie. Das besondere an der Versuchsanordnung: Beide Typen haben trotz aller Ecken und Kanten einen menschlichen Kern, der zur Empathie einlädt - bis die Stimmung endgültig kippt!
 
Damit dieses ungleiche Duo funktioniert, bedarf es überzeugender Darsteller. Karl Markovics („Die Fälscher“) präsentiert den zunehmend psychopathischer werdenden Rächer mit enormer Leinwandpräsenz. Peter Kurth, fast in allen Szenen im Bild, gibt den grobschlächtigen und doch behutsamen Helden mit enormer Präzision und fast beängstigender Intensität. Nach „Herbert“ hätte der damit seinen zweiten Deutschen Filmpreis verdient - so wie auch sein Regisseur Lars Henning, der ein ziemlich starken Kino-Debüt hinlegt.

Dieter Oßwald