Der anregende Dokumentarfilm „Wem gehört die Stadt? – Bürger in Bewegung“ eröffnet einen unverstellten Blick auf die Auseinandersetzungen um Stadtentwicklung als kollektiven Lebensraum und Experimentierfeld. Dabei gelingt Filmemacherin Anna Ditges als versierter Chronistin unserer Zeit, diese Suche nach menschengerechtem Wohnen und Leben in der Auseinandersetzung mit wirtschaftlichen und politischen Interessen dem Zuschauer kurzweilig nahe zu bringen. Am Beispiel des Kölner Stadtteils Ehrenfeld geht die 36jährige der spannenden Frage nach, ob sich dieser chronisch schwelende Gesellschaftskonflikt um die Rückeroberung öffentlichen Raums demokratisch lösen lässt.
Webseite: http://wemgehoertdiestadt-derfilm.de
Deutschland 2014 - Dokumentation
Regie, Buch, Kamera, Schnitt: Anna Ditges
Musik: Andreas Schäfer
Länge: 87 Minuten
Verleih: FilmKinoText, Vertrieb: Die Filmagentinnen
Kinostart: 19.2.2015
FILMKRITIK:
Wohnungsmangel, Mietpreise, Gentrifizierung: Ein Thema, das polarisiert. Prozesse die heute in jeder Stadt anzutreffen sind, vom Gängeviertel in Hamburg bis zu den zahlreichen Initiativen gegen Immobilien Spekulation in Berlin. So auch im Kölner Stadtteil Ehrenfeld. Das Helios-Areal dort gilt als Herzstück. Mit seinem weithin sichtbaren Leuchtturm aus dem 19. Jahrhundert, den alten Werkhallen, in denen sich Clubs, Werkstätten und Ateliers befinden, und den Brachflächen dazwischen mutiert das idyllisch-heruntergekommene Gelände und frühere Arbeiterstadtteil gerade zum In-Viertel.
Und während die Ehrenfelder noch einen ihrer letzten alternativen Lebensräume am Rande einer dicht bebauten Innenstadt bewahren möchten, sehen Investoren und Stadtplaner darin vor allem ein riesiges ungenutztes Grundstück in Bestlage. Das könnte ihrer Meinung nach endlich bebaut werden und richtig Profit bringen. Großinvestor und Bauunternehmer Paul Bauwens-Adenauer plant schon mal eine Shopping Mall. Damit beginnt der Streit um das lukrative „Objekt der Begierde“.
Protest dagegen formiert sich. Gastronomen und Handwerker, deren Existenz durch den geplanten Abriss auf dem Spiel steht, aber auch Nachbarn sehen die Shopping Mall als Bedrohung für die gewachsene Infrastruktur und den Einzelhandel des Viertels. Unterschriften werden gesammelt, eine Bürgerinitiative gegründet. Mit Unterstützung von Bezirksbürgermeister Josef Wirges, dem die Menschen in „seinem Veedel“ am Herzen liegen, kommt es zu einem Bürgerbeteiligungsverfahren.
Vertreter der Stadt sollen zwischen den Interessen von Wirtschaft, Politik und Bürgerschaft vermitteln. Die Bürgerinitiative Helios erarbeitet Konzepte zur Nutzung des Geländes. Bald stehen erste Modelle im Raum. Kulturstätten, bezahlbarer Wohnraum aber auch ein Park , so die Vorschläge. Visionäre und Pragmatiker streiten über Machbarkeit und Kompromisse. Doch am Ende des konfliktreichen Prozesses steht plötzlich eine überraschende Lösung.
„Indem ich dokumentiert habe, wie Bürger versuchen mitzumischen und mit wem sie es da zu tun bekommen, konnte ich ein Stück Stadtplanung aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten“, sagt Anna Ditges. Nicht selten stand die 36jährige preisgekrönte Filmemacherin dabei auch zwischen den Fronten. Etwa, wenn sie an einem Tag mit dem Investor in seiner Baufirma über Wirtschaft und Stadtentwicklung spricht und dann bei der Schreinerin, einer Anwohnerin, im Wohnzimmer erfährt, dass sie ihre Existenzgrundlage verliert, wenn denen ihre Werkstatt, im Rahmen der Neugestaltung des Geländes abgerissen werden.
Trotzdem nähert sie sich ihrem brisanten Thema mit einer ruhigen, eher fotografischen Kamera, die den Menschen auf Augenhöhe begegnet. Respektvoll nähert sie sich ihren Protagonisten. Niemand wird vorgeführt. Dramaturgisch eingängig aufeinander aufgebaut wirkt die Montage ihres Bildmaterials spannend wie bei einem Spielfilm. „Mit meinen Filmen möchte ich Menschen erreichen, berühren und bewegen“, sagt die gebürtige Rheinländerin. Das ist ihr mit dieser anregenden, exemplarischen Langzeitdokumentation auf jeden Fall bestens gelungen. Denn verödete, rein profitorientierte Städte ohne Charakter wirken nicht zuletzt auf den seelischen Haushalt ihrer Bewohner zurück. Das sollte eigentlich seit Alexander Mitscherlichs Klassiker aus den 70er Jahren „Die Unwirtlichkeit unserer Städte“ klar sein.
Luitgard Koch