Viva

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Nach seinem Mystery-Slasherfilm „Shrooms – Im Rausch des Todes“ wendet sich der irische Regisseur Paddy Breathnach mit dem Queer-Drama „Viva“ einem gänzlich anderen Stoff zu. Im Mittelpunkt seines in Havanna gedrehten Films stehen ein homosexueller 18-Jähriger, der in einer Travestie-Bar auftritt, und sein aggressiver Vater, der nach Jahren der Abwesenheit das Leben des Sohns aufwühlt. Beim Filmfestival von Sundance feierte das Publikum das lebensnahe Drama, das für fünf irische Filmpreise nominiert wurde.

Webseite: www.salzgeber.de/kino/

OT: Viva
Kuba, Irland 2016
Regie: Paddy Breathnach
Drehbuch: Mark O'Halloran
Darsteller: Héctor Medina, Jorge Perugorría, Luis Alberto García, Luis Manuel Alvarez, Paula Andrea Ali Rivera, Oscar Ibarra Napoles
Länge: 100 Min.
Verleih: Edition Salzgeber
Kinostart: 15. September 2016

FILMKRITIK:

Der 18-jährige Jesús (Héctor Medina) lebt in einem heruntergekommenen Viertel von Havanna. Seine Mutter ist tot, sein Vater verschwand aus seinem Leben, als er drei Jahre alt war. Mit einem Job als Friseur schlägt sich der junge homosexuelle Mann durch. Außerdem kümmert er sich um die Perücken der Drag Queens, die in der Travestie-Bar von Mama (Luis Alberto Garcia) auftreten. Als Mama einen neuen Tänzer sucht, erfüllt sich sein Traum, einmal selbst auf der Bühne zu stehen. Doch als Jesús zum zweiten Mal unter seinem Künstlernamen Viva als Frau auftritt, schlägt ihm ein Mann aus dem Publikum hart ins Gesicht. Schnell ist klar, dass es sich um seinen Vater (Jorge Perugorría) handelt, der nach einer Gefängnisstrafe in seine Heimat zurückgekehrt ist. Ohne groß zu fragen zieht der Trinker zu Jesús in seine alte Wohnung. Die Homosexualität seines Sohns ist ihm ein Graus. Jesús seinerseits ist zerrissen zwischen dem Wunsch, seinen Vater kennenzulernen und dem Bedürfnis, zu sich selbst zu stehen.

Als Ángel bei Jesús einzieht, ist der Alltag der beiden von Anfang an von einer latenten Anspannung durchzogen. Schließlich könnte der völlig dem Rum verfallene Vater jederzeit die Beherrschung verlieren, wie zur Mahnung ist die Platzwunde an der Unterlippe seines Sohns noch nicht verheilt. „Hast du dich gewaschen? Nicht, dass es noch jemand sieht,“ fragt Ángel seinen Sohn am ersten Morgen nach seinem Tanzauftritt und macht deutlich, dass er keinen schwulen Sohn haben will. Stattdessen hängt er im Boxclub bei den „richtigen“ Männern herum.

An Dynamik gewinnt das Porträt des ungleichen Vater-Sohn-Gespanns, als sich die beiden zaghaft annähern. Der anfangs schlichtweg abscheuliche Ángel gewinnt immer mehr Profil und offenbart sympathische Seiten. So erleben der zierliche Sohn und sein bulliger Vater schließlich auch unbeschwerte Momente. Auch weil die beiden wie alle der Figuren Geldprobleme haben (aber nicht nur deswegen), tritt Jesús bald wieder heimlich in der Travestie-Bar auf. Auf der Bühne fühlt er sich ganz bei sich und die Barbetreiberin Mama, ein Mann, wird für ihn eine Art Ersatzvater.

Mit viel kubanischer Musik zeichnet der Ire Paddy Breathnach ein lebendiges Sittenbild gesellschaftlicher Randfiguren aus Havanna. Das bunte Nachtleben der Drag Queens und die Underdogs aus dem Boxclub bilden einen Kontrast, doch beide Seiten träumen von einem besseren Leben. Die meisten wollen abhauen, nach Miami oder Barcelona, und alle sind knapp bei Kasse, darunter auch die älteren Stammkundinnen, denen Jesús die Haare schneidet und seine Freundin Cecilia (Laura Alemán), die sich in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft an einen aufstrebenden Boxer hängt. So erscheint Havanna, fraglos ein weiterer Protagonist des Films, nicht gerade als verheißungsvoller Ort, sondern als hartes Pflaster und geerdete Kulisse für das Coming-of-Age-Drama.

Gefilmt mit einer ruhigen Handkamera und getragen von einer kompakten Montage konzentriert sich „Viva“ auf die problematische Beziehung zwischen Vater und Sohn. Das funktioniert auch deswegen so gut, weil die Hauptdarsteller Héctor Medina und Jorge Perugorría ihre Figuren mit einer großen Glaubwürdigkeit und Natürlichkeit verkörpern. Nach und nach emanzipiert sich Jesús von seinem Vater, stets darauf bedacht, ihn nicht zu verprellen. Im Ergebnis gelingt Paddy Breathnach ein eindringliches Drama, das emotional sehr berührt, ohne kitschig zu sein.

Christian Horn