Tschick

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Wolfgang Herrndorfs 2010 erschienener Roman "Tschick" war solch ein Bestseller, dass eine Verfilmung nur eine Frage der Zeit war. Regisseur Fatih Akin erweist sich als genau die richtige Wahl für dieses etwas andere Roadmovie über zwei Außenseiter-Jungs, die mit einem geklauten Lada durch die "ostdeutsche Walachei" kurven und dabei "den besten Sommer aller Zeiten" erleben. Ein lässiger, lebendiger, mitreißender Film!

Webseite: www.tschick-film.de

Deutschland 2016
Regie: Fatih Akin
Buch: Lars Hubrich, nach dem Roman von Wolfgang Herrndorf
Darsteller: Tristan Göbel, Anand Batbileg, Mercedes Müller, Anja Schneider, Uwe Bohm, Udo Samel
Länge: 93 Minuten
Verleih: Studiocanal
Kinostart: 15. September 2016
 

FILMKRITIK:

Während seine Klassenkameraden sich auf die Sommerferien freuen, sieht Maik Klingenberg (Tristan Göbel) der schulfreien Zeit mit gemischten Gefühlen entgegen. Seine Mutter (Anja Schneider) wird den Sommer einmal mehr in einer Entzugsklinik verbringen, während sein Vater (Uwe Bohm) mit seiner jungen Geliebten auf Geschäftsreise geht. Zu allem Überfluss findet am ersten Tag der Ferien auch noch eine Party bei Maiks großem Schwarm Natalie statt - zu der er nicht eingeladen ist.
 
Was für Maik - der sich selbst als langweilig und feige bezeichnet - ein unüberwindliches Problem ist, ringt Andrej Tschichatschow, der Einfachheit halber nur Tschick genannt (Anand Batbileg) nur ein müdes Lächeln ab. Seit ein paar Wochen ist der Junge aus dem tiefsten Russland in Maiks Klasse und wird für ein paar Tage zu seinem besten Freund. Mit einem "geliehenen" Lada steht Tschick am ersten Ferientag vor Maiks Tür, holt ihn aus der Lethargie und nimmt ihn mit auf eine Reise, die zwar ins Nichts führt, aber doch alles ändert.
 
Die Begeisterung des Feuilletons über Wolfgang Herrndorfs Roman "Tschick" war groß, was wohl nicht zuletzt auf die nostalgischen Gefühle zurückzuführen war, die die Geschichte zweier Teenager, noch dazu Außenseiter erweckte. Mit den Worten eines Erwachsenen reflektierte die Romanfigur Maik über das Leben, was in seinem Versuch, so zu schreiben, wie Teenager sprechen, bisweilen etwas anbiedernd wirkte. Ganz anders die Verfilmung nach einem Drehbuch von Lars Hubrich, der nur noch an wenigen Stellen, vor allem zu Beginn und am Ende einen Voice Over-Kommentar benutzt und sich statt dessen auf den Sog der Geschichte, den Charme seiner Hauptdarsteller verlässt.
 
Und da haben Fatih Akin und seine Caster zwei Glücksgriffe getätigt: Schon Tristan Göbel überzeugt als Mauerblümchen Maik, doch die eigentliche Entdeckung ist Anand Batbileg, der zum ersten Mal vor der Kamera stand und mit geradezu unverschämter Unbeschwertheit agiert. Einmal mehr bestätigt sich hier die alte Weisheit, dass das richtige Casting schon die halbe Miete ist. Auch wenn Tschick mit seiner heruntergekommenen Kleidung von seinen Mitschülern und anfangs auch von Maik als Asi betrachtet wird: Vom ersten Moment an, wenn er vor der Klasse steht und maulfaul dem Lehrer das Wort überlässt, spürt man durch die bloße Ausstrahlung Batbilegs die ganze Lässigkeit Tschicks, der trotz seiner erst 14 Jahren eine Weltgewandtheit besitzt, von der mancher Erwachsene nur träumen kann.
 
Eine Lässigkeit, die im Lauf des Road Movies dankenswerterweise auch nicht durch Enthüllungen über eine schwere Kindheit oder ähnliches gebrochen wird. Denn entgegen seiner sonstigen, nicht unbedingt unsubtilen Art, verlässt sich Akin diesmal ganz auf seine beiden Hauptfiguren und setzt sein größtes Talent, sein Gespür für Atmosphäre, für das Evozieren von Stimmungen mit Bildern und Musik so unprätentiös ein, wie seit langem nicht mehr. Im Gegensatz zum Roman werden in der Verfilmung von "Tschick" nicht allzu viele Worte gemacht, während Maik und Tschick durch Brandenburg kurven, die Walachei anpeilen, aber doch nicht allzu weit kommen. Doch gerade durch den Verzicht auf allzu bedeutungsschwere Dialoge und betonte Momente der Selbsterkenntnis wirkt Fatih Akins Film so lebendig und mitreißend.
 
Michael Meyns