Thule liegt auf Grönland, der größten Insel der Welt, und ist einer der nördlichsten bewohnten Orte der Erde. Tuvalu ist mit 10 000 Einwohnern einer der kleinsten Staaten der Erde und liegt in der Nähe des Äquators – also am anderen Ende der Welt. Aber beide Orte verbindet ein Schicksal: Die Menschen spüren hier schon deutlich die Auswirkungen des Klimawandels. Der Schweizer Dokumentarfilmer Matthias von Gunten zeigt, wie sie mit der veränderten Natur und ungewissen Zukunft umgehen.
Webseite: www.thuletuvalu.de
Schweiz 2014
Buch und Regie: Matthias von Gunten
Kamera: Pierre Mennel
Länge: 96 Minuten
Verleih: barnsteiner-film
Kinostart: 13. August 2015
FILMKRITIK:
Sein Beruf wurde Rasmus Avike schon in die Wiege gelegt: Er ist Jäger wie sein Vater. Bis heute ernährt er mit seinem Handwerk eine sechsköpfige Familie. Wie lange das aber noch funktionieren kann, ist ungewiss. Im Winter friert das Meer viel später und auf einer viel kleineren Fläche zu als noch vor wenigen Jahren. Rasmus kommt mit seinem Hundeschlitten kaum noch bis dorthin, wo er Narwale jagen kann. Kaipati Vevea weiß auch nicht, wie es weitergehen soll. Während das Eis am Pol abschmilzt, steigt der Meeresspiegel in seiner Heimat Tuvalu unaufhaltsam an. Auf seiner Insel Nanumea häufen sich die Probleme: Palmen kippen um, das Grundwasser versalzt und lässt Gemüsepflanzen absterben, das Trinkwasser wird wegen ausbleibenden Regens knapp. Wie viele andere Tuvalesen will Kaipati mit seiner Familie nach Neuseeland auswandern.
Matthias von Gunten, der 2007 mit seiner Doku „Max Frisch, Citoyen“ bekannt wurde, fügt mit seinem Film der weltumspannenden Debatte um den Klimawandel eine weitere Facette hinzu. Dabei gelingt ihm, was bei der Diskussion um die Folgen von abschmelzenden Polkappen und steigendem Meeresspiegel oft verloren geht: Von Gunten macht deutlich, dass der Klimawandel eben kein Problem der fernen Zukunft ist, sondern dass seine Auswirkungen schon jetzt deutlich zu spüren sind. „ThuleTuvalu“ macht konkret anschaulich, wie die Menschen an besonders sensiblen Orten der Erde versuchen, mit den rasanten Veränderungen Schritt zu halten.
Der Filmemacher geht dabei von den Menschen aus. Sie stehen ganz und gar im Zentrum des Geschehens. Der an sich abstrakte Prozess bekommt so viele Gesichter, aus dem globalen wird ein menschliches Drama. Dabei interessiert von Gunten, wie er im Presseheft schreibt, die Auswirkungen auf die jeweilige Kultur. Auf Tuvalu taucht er ein in den Alltag, die Riten und Gebräuche der gläubigen Einheimischen. Bei einem Abstecher nach Neuseeland beobachtet er, wie es einer Familie ergeht, die bereits dorthin auswanderte und deutet an, dass die intakte Alltagskultur dort zu einem jähen Ende kommt. In Thule wird Rasmus Großvater und gerät ins Grübeln darüber, wie sein Schwiegersohn einmal seine Familie ernähren wird.
Sehr langsam dringt von Gunten über die geduldige Beobachtung dieser Menschen zum Problem des Klimawandels vor. Weil sich die Dramatik nach und nach entwickelt, ist ihre Wirkung umso größer. Es wird deutlich, dass die Bewohner von Thule und Tuvalu nicht mehr erst am Anfang einer Spirale stehen, sondern schon schon heute unter gravierenden Folgen leiden. Die Heftigkeit der Bilder – poröses Eis, absterbende Bäume, rationiertes Trinkwasser – überraschen. Dem Zuschauer wird deutlich vor Augen geführt, dass an den Rändern der Welt der Klimawandel längst eine Realität ist. Der Film schließt mit einem skeptischen Blick in die Zukunft, der auch Platz für ein wenig Hoffnung lässt.
Oliver Kaever