Kaum mehr als ein Jahr her ist der Höhepunkt der so genannten Flüchtlingswelle, die im Herbst 2015 in aller Munde war. Auf Initiative des Regisseurs Michael Klier beschäftigten sich zahlreiche Filmstudenten mit dem Thema. Ihre elf kurzen, meist dokumentarischen Filme touren nun als „Research Refugees“ durch die Republik und beschäftigen sich auf interessante, oft ungewöhnliche Weise mit den Facetten der Flüchtlingsströme.
Webseite: www.facebook.com/researchrefugees/
Dokumentation
Deutschland 2016
Regie & Buch: Filmkollektiv Recherche
Länge: 98 Minuten
Verleih: Selbstverleih
Kinostart: ab 12. Januar auf Kinotour
FILMKRITIK:
Zumindest für den Moment, Ende 2016, ist das Thema Flüchtlinge etwas in den Hintergrund gerückt, finden nur noch vereinzelt Berichte von Toten auf dem Mittelmeer oder der schwierigen Eingliederung in die Gesellschaft Gehör. Vor einem Jahr war das ganz anders und in diesem Deutschen Herbst 2015 drehten Studenten der Filmuniversität Konrad Wolf in Potsdam und der Bauhaus Universität Weimar elf kurze Filme, die sich auf unterschiedliche Weise ihrem Thema nähern.
Die meisten Arbeiten sind mehr oder weniger klassische, beobachtende Dokumentationen, „Nordwärts“ von Therese Koppe etwa, der in Griechenland darbende senegalesische Flüchtlinge bei ihrem Versuch zeigt, in Europa Fuß zu fassen. Etwas aus der Reihe fällt diese Arbeit, da hier Wirtschaftsflüchtlinge gezeigt werden, während ansonsten meist Kriegsflüchtlinge im Mittelpunkt stehen. Der Beitrag „Police Woman & Dragon Rider“ von Duc Ngo Ngoc zum Beispiel, der die Situation am Berliner LAGeSo zeigt, dem Landesamt für Gesundheit und Soziales, das wegen schierer Überfüllung, ewigen Wartezeiten und scheinbarer Schikane der Flüchtlinge viel Kritik auf sich zog. Interessant ist jedoch der Blick, den Ngoc auf die Situation wirft: Aus der Sicht des 5jährigen Fabians, dessen Mutter freiwillige Helferin ist und der 12jährigen Jaqueline aus Syrien wird erzählt, und durch die Verknüpfung zweier ganz unterschiedlicher Perspektiven das Aufeinanderprallen der Kulturen angedeutet.
Fast ohne Worte beobachtet Valérie Anex in „Autumn Songs“ das Leben in einer Flüchtlingsunterkunft und wartet am Ende mit der geradezu zynischen Pointe auf, dass die heutige Teske-Schule einst „Fritz-Haber-Schule“ hieß: In Erinnerung an den Chemiker, der während des Ersten Weltkriegs Giftgas entwickelte. Ähnlich pointiert funktioniert auch der Beitrag „Meinungsaustausch“ von Sophia Bösch und Sophie Linnenbaum, die Flüchtlinge ebenso erschreckende wie banale O-Töne von ganz normalen Deutschen in den Mund legen, in denen all die Vorurteile und Ängste zur Sprache kommen, die Reichsbürger und AFD erst populär gemacht haben.
Besonders gelungen ist schließlich der mit Found Footage Material arbeitende Beitrag „Zufall“, in dem die aus der Schweiz stammende Thaïs Odermatt ihre eigene Biografie und die Geschichte der Schweiz unter dem Aspekt beleuchtet, wie Zufälle das Schicksal einzelner Menschen und ganzer Nationen prägen.
Bemerkenswert vielseitige Arbeiten sind bei diesem spontanen Projekt entstanden, die sich vor allem praktisch durchgehend von Klischees und allzu schlichter Agitation fernhalten, die in etlichen „größeren“ (Dokumentar-)Filmen zum Thema Flüchtlingskrise zu finden ist. Nicht zuletzt die filmische und technische Qualität ist von meist hohem Niveau und lässt nur selten erkennen, mit welch geringen Mitteln und in welch kurzer Zeit die Filme entstanden. Bei der anstehenden Kinotour durch Deutschland werden allerdings eher die Inhalte im Mittelpunkt der Diskussionen stehen, zumal das Thema zwar momentan von den Titelseiten verschwunden ist, was aber wohl nicht von Dauer sein wird: Zu drängend sind die Probleme, zu viele Kriege schwelen noch und werden wohl bald wieder aufflammen und das Thema Flüchtlingskrise wieder aktuell machen.
Michael Meyns