Eine Amour Fou, ein Psychothriller, ein weiterer herausragender Genrefilm aus Österreich, all das ist Andrina Mračnikar schon vielfach ausgezeichneter Debütfilm "Ma Folie", der nun endlich in die deutschen Kinos kommt. Dass die Regisseurin bei Michael Haneke studiert hat ist unübersehbar, dessen sezierender Blick hier eine dezidiert weibliche Komponente bekommt.
Webseite: ww.mafolie.wfilm.de
Österreich 2015
Regie & Buch: Andrina Mračnikar
Darsteller: Alice Dwyer, Sabin Tambrea, Gerti Drassl, Oliver Rosskopf, Rayana Sidieva, Gisela Salcher, Robert Reinagl
Länge: 99 Minuten
Verleih: w-Film
Kinostart: 21. Juli 2016
FILMKRITIK:
Am Ende eines Aufenthalts in Paris sitzt Hanna (Alice Dwyer) in einem Cafe, trinkt einen Wein, liest ein Buch, doch ihre Blicke treffen immer wieder die eines attraktiven Mannes, der ein paar Tische weiter sitzt. Auch er wirkt interessiert, doch als Hanna das Lokal verlässt scheint der Moment verflogen. Allein geht sie durch die Straßen und hört hinter sich Schritte, die ihr nachlaufen, ein Geräusch, das in diesem Moment noch erfreulich ist.
Einige Tage bleibt sie noch mit Yann (Sabin Tambrea) in Paris, dann muss sie zurück nach Wien, wo sie als angehende Psychologen traumatisierte Kinder therapiert. Bald kommt Yann sie besuchen, nur für ein paar Tage, doch dann zieht er einfach bei Hanna ein. Etwas schnell geht das, doch noch lässt sich Hanna von ihrem Verliebtsein mitreißen, ignoriert die unverhohlenen Eifersuchtsattacken, in denen Yann ihr allzu große Nähe zu ihrem Exfreund und Arbeitskollegen Goran (Oliver Rosskopf) unterstellt. Als die Situation schließlich eskaliert zieht Yann aus, die Beziehung scheint beendet, doch immer weiter erhält Hanna Videobotschaften, in denen Yann auf drastische Weise seine Enttäuschung zeigt. Zunehmend fühlt sich Hanna verfolgt, wähnt hinter jeder Ecke eine Bedrohung, klagt auch ihre Freundin und Nachbarin Marie (Gerti Drassl) an, sie zu belügen und steigert sich immer stärker in ihre Paranoia.
Nicht zuletzt um Blicke geht es in "Ma Folie", um den schmalen Grad zwischen Beobachtung und Voyeurismus, zwischen Interesse und Stalking. Klassische Fragen des Kinos also, die schon Alfred Hitchcock, den Meister des Psychothrillers umtrieben und in der Gegenwart Regisseure wie Brian de Palma oder eben den Österreicher Michael Haneke beschäftigten. Dessen Einfluss auf seine Studentin Andrina Mračnikar ist deutlich, in manchen Momenten wirkt "Ma Folie" fast wie ein Pastiche von Haneke-Motiven. Gerade die von Yann bevorzugte Kommunikation per Handy-Videos, die anfangs noch liebevollen Videos (Falls es die Bezeichnung Liebesvideo als zeitgemäße Form des Liebesbrief noch nicht gibt, müsste man sie erfinden.), die zunehmend bedrohliche Form annehmen und Yanns Eifersucht drastisch visualisieren.
Wenn Hanna dann auch noch Videos bekommt, die sie schlafend zeigen, die offenbar im geheimen aufgenommen wurden, fühlt man sich unmittelbar an Hanekes Meisterwerk "Cache" erinnert. So wie die Hauptfigur dort Videos bekam, die offenbar keinen Absender hatten, die auch aus unmöglicher Perspektive gefilmt waren, so suggeriert auch Mračnikar, dass sich vieles des Gezeigten nur in Hannas Kopf abspielt. Vage Verdachtsmomente verdichten sich angesichts ihrer zunehmenden Paranoia schnell zu Tatsachen, jedes Geräusch, jede vielleicht zufällige Begegnung scheinen auf eine Bedrohung, einen Verrat hinzudeuten.
Ganz so zwingend wie ihre Vorbilder bzw. Inspirationsquellen ist "Ma Folie" nicht, als Debütfilm ist er auch zwangsläufig kleiner, visuell weniger elaboriert. Und doch zeigt er unübersehbar Andrina Mračnikar Gespür für Stimmungen, ihren Mut, Dinge im Unklaren zu lassen, nicht alles auszuerzählen und psychologisch auf den Punkt zu bringen. Gerade diese Unbestimmtheit verleiht "Ma Folie" seine Faszination.
Michael Meyns