Louder Than Bombs

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Ein clever konstruiertes Drama-Puzzle um eine Familie, in der alle ihre Geheimnisse hüten. Die Mutter, eine berühmte Kriegsfotografin, die ums Leben kommt. Ihr Mann, ein überforderter Vater. Der jüngste Sohn, ein ziemlich labiler Teenager. Dessen Bruder, ein sehr junger Professor und frisch gebackener Papa. Kunstvoll jongliert das norwegische Regietalent Joachim Trier seine Figuren durch eine auffallend eleganten Inszenierung. Neben visuellem Einfallsreichtum überzeugt ein hochkarätiges Star-Ensemble. Die raffinierte Dramaturgie mit Perspektivwechseln und Rückblenden erinnert an den Pilotfilm einer TV-Serie – was bekanntlich längst keinen Makel mehr darstellt.

Webseite: http://louderthanbombs.de

Dänemark, Norwegen, Frankreich, USA 2014
Regie: Joachim Trier
Darsteller: Gabriel Byrne, Isabelle Huppert, Jesse Eisenberg, Devin Druid, Amy Ryan
Filmlänge: 108 Minuten
Verleih: MFA+, Vertrieb: Die Filmagentinnen
Kinostart: 7.1.2016
 

FILMKRITIK:

Isabelle Leed (Isabelle Huppert) ist eine berühmte Kriegsfotografin. Zwei Jahre nach ihrem tödlichen Verkehrsunfall, soll ihr Schaffen in einer großen Ausstellung gewürdigt werden. In einem begleitenden Zeitungsartikel will ein befreundeter Kollege nicht nur über die Fotos schreiben, sondern zudem über die Hintergründe des tragischen Unfalls. Für den Witwer (Gabriel Byrne) keine leichte Sache, schließlich hat er seinem Sohn die ganze Wahrheit bislang aus Rücksicht verschwiegen. Der labile Teenager ist bis heute traumatisiert durch den plötzlichen Tod seiner Mutter. Der 15-Jährige kapselt sich ab, flüchtet in die Welt von Computerspielen und gibt sich gegenüber dem Vater ausgesprochen störrisch. Dass der ihn heimlich verfolgt, bleibt dem Jugendlichen nicht verborgen. Mit skurrilen Aktionen rächt sich der Sohn trotzig am Nachspionieren des Papa. Besser versteht sich Conrad mit seinem älteren Bruder Jonah (Jesse Eisenberg), einem sehr junger Professor und frischgebackenen Vater, der auf Besuch vorbeikommt, um den Nachlass der Mutter für die Ausstellung zu sortieren. Mit der jungen Mama in der Ferne bleibt Jonah per Skype in Kontakt – was ihn freilich nicht davon abhält, zwischendurch bei einer Ex dem erotischen Knistern der guten alten Zeiten zu frönen. Wenig später wird Jonah auf Fotos entdecken, dass die Mama es mit der Treue offensichtlich gleichfalls nicht ganz so genau nahm. Während der schüchterne Conrad erstmals einem Mädchen in einem eigenwilligen Brief seine intimsten Gefühle offenbart und sehnsüchtig auf eine Reaktion wartet, beginnt der Vater eine heimliche Liaison mit dessen Lehrerein. So ticken immer mehr kleine Zeitbömbchen und verkürzen die Halbwertszeit der diversen Familiengeheimnisse rapide.
 
Wie in einem Kaleidoskop lässt das norwegische Regietalent Joachim Trier (weitläufig verwandt mit dem Dänen Lars von Trier!) die Figuren mit ihren Heimlichkeiten durch den Film purzeln. Mit immer mehr schillernden Mosaiksteinchen werden die Psychogramme der Familienmitglieder gleichsam nebenbei fragmentarisch zusammengesetzt. Diverse Perspektivwechsel und Rückblenden sorgen für eine dramaturgische Dynamik, die sich bei den aktuell so populäre TV-Serien längst als Erfolgsrezept bewährt hat. Die psychologische Präzision dieser filmischen Familienaufstellung wird durch ein charismatisches Ensemble perfekt umgesetzt. Wenn die Huppert in Großaufnahme sekundenlang scheinbar regungslos, kurz vor einer emotionalen Implosion, in die Kamera blickt, wird der abgenutzte Begriff „großes Kino“ tatsächlich spürbar. Gabriel Byrne und Jesse Eisenberg bieten ihre lässige Zurückgenommenheit mit bekannter Bravour. Als echte Entdeckung erweist sich Newcomer Devin Druid, der den verstörten Teenager-Rebellen mit einer Intensität und Wahrhaftigkeit gibt, als wäre er direkt dem Kosmos eines Richard Linklater oder Ang Lee entsprungen.  
 
Nach seinem eindrucksvollen Einstand mit „Auf Anfang“ und „Oslo, 31.August“ erweist sich auch dieser dritte Streich des Joachim Trier als wunderbare Perle der Filmkunst.

Dieter Oßwald