Sie war Archäologin, Alpinistin, Historikerin, Schriftstellerin, eine der führenden Expertinnen des Nahen Ostens und sogar Vertraute von Winston Churchill: Gertrude Bell, die als Wüstenkönigin und "heimliche Mutter des Irak" in die Geschichte einging. Werner Herzog setzt ihr mit seiner üppig ausgestatteten und in schwelgerischer Wüsten-Optik gehaltenen Biographie "Königin der Wüste" ein bildgewaltiges Denkmal. Nicole Kidman überzeugt dabei voll und ganz in der Rolle einer mutigen, resoluten Getriebenen, die sich wie kaum eine andere Frau ihrer Zeit den Respekt und die Akzeptanz ihrer männlichen Kollegen und Wegbegleiter erarbeitete.
Webseite: www.koenigin-der-wueste.de
USA/Marokko 2015
Regie: Werner Herzog
Drehbuch: Werner Herzog
Darsteller: Nicole Kidman, James Franco, Robert Pattinson,
Damian Lewis
Länge: 128 Minuten
Verleih: Prokino, Vertrieb: Fox
Kinostart: 03. September 2015
FILMKRITIK:
Es ist Frühjahr 1893, als die wohlhabende englische Industriellentochter Gertrude Bell (Nicole Kidman) zum ersten Mal für längere Zeit ihre Heimat verlässt. Gertrude studierte einige Jahre zuvor in Oxford und plant nun, in Teheran eine fremde Kultur näher kennenzulernen. Während dieser Zeit wohnt sie bei ihrem Onkel Frank (Mark Lewis Jones) und ihrer Tante (Beth Goddard) in der britischen Botschaft. Dort lernt sie wenig später den ebenso an Geschichte und Kultur interessierten, aber mittellosen Sekretär Henry Cadogan (James Franco) kennen. Die beiden verlieben sich ineinander und Henry macht Gertrude einen Heiratsantrag. Aufgrund seiner desolaten finanziellen Situation und seiner Spielsucht stimmen Gertrudes Eltern einer Ehe jedoch nicht zu.
Nachdem Henry einige Zeit danach bei einem Ausritt ums Leben kommt, entschließt sich Gertrude, jeglichem Privaten komplett zu entsagen und ihr Leben vollständig der Forschung zu widmen. In den folgenden Jahren studiert sie Völker, Natur und Kultur des Nahen Ostens, Syriens, Mesopotamiens sowie des Osmanischen Reichs und entwickelt sich zur weltweit führenden westlichen Expertin für diese Regionen.
Nachdem Werner Herzog in den vergangenen Jahren fast ausschließlich Dokumentarfilme (z.B. "Die Höhle der vergessenen Träume", "Tod in Texas") realisierte, stellt seine bildgewaltige, 35-Millionen-Dollar-teure Filmbiographie über Gertrude Bell seine Rückkehr zum Spielfilm dar. "Königin der Wüste" entstand ab Dezember 2013 vorwiegend in Marokko sowie Jordanien und erlebte seine Premiere auf der diesjährigen 65. Berlinale. Mit Nicole Kidman, James Franco und Robert Pattinson ist "Königin der Wüste" hochkarätig besetzt.
Werner Herzog setzt der "ungekrönten Königin der Wüste" mit seinem neuen Film ein prachtvoll ausgestattetes, opulentes Denkmal mit großartigen Schauwerten, vor allem hinsichtlich der atmosphärisch in Szene gesetzten Wüsten-Landschaften und Handlungsorte. Der Film folgt vor allem in der ersten Hälfte einer ruhigen und bedächtigen, ja fast hypnotischen Erzählweise. Einen Schwerpunkt legt Herzog in dieser Phase seines Films klar auf die tragisch endende Liebesbeziehung zwischen Bell und dem Botschaftssekretär Cadogan (ambivalent verkörpert von James Franco), einer durch und durch schicksalhaften Figur. Obwohl aus adligem und damit wohlhabendem Hause stammend, geht der junge Mann letztlich an seiner kräftezehrenden Spielsucht und auch an der Tatsache zu Grunde, dass Bells Eltern ihre Zustimmung zur Hochzeit verweigern.
Der Tod ihres Geliebten mag ein Stück weit auch die Wandlung Bells zur noch energischeren, noch selbstbewussteren Frau erklären, die sich nun ganz ihren Forschungsreisen und der Erkundung fremder, exotischer Welten widmet. Mit dem Tod von Cadogan ändern sich auch Stimmung und Tempo des Films. In den folgenden Jahren entwickelt sich Bell zur führenden westlichen Historikerin und international geachteten Fachfrau für die Region. Sie arbeitet als Informantin für das British Empire, als Beraterin von Winston Churchill und wird treibende Kraft bei der Gründung und Entstehung des Irakischen Nationalmuseums in Bagdad. Nahezu all diese Stationen arbeitet Herzog akribisch ab, wobei am Ende die Ereignisse und Stationen ein wenig stakkatohaft und zu rasch aneinander gereiht werden.
Nicole Kidman zeigt in der Rolle der Wüstenkönigin eine überzeugende Leistung als charakterstarke, wissbegierige und extrem mutige Frau, die sich in einer Männerwelt behauptet und zur engen Vertrauten von arabischen Königen und Scheichs, osmanischen Regenten sowie britischen Politkern und Militärs wird. Ein wenig gewöhnungsbedürftig ist einzig der immer wieder ins schwülstig-pathetische abdriftende Off-Kommentar der Hauptfigur selbst.
Björn Schneider