Für sein Kinodebüt „Irène“ erhielt der französische Regisseur Ivan Calbérac 2003 eine César-Nominierung für das beste Erstlingswerk. Mit „Frühstück bei Monsieur Henri“ adaptiert Calbérac nun sein eigenes Boulevard-Theaterstück aus dem Jahr 2013, was sich in den geschliffenen Dialogen und Rededuellen widerspiegelt, die die Generationenkomödie entscheidend prägen. Mit französischer Leichtigkeit und der zündenden Chemie zwischen dem französischen Altstar Claude Brasseur („Die Außenseiterbande“) und der schweizerischen Newcomerin Noémie Schmidt gelingt eine leichte, dialogreiche Komödie, die charmante Unterhaltung bietet.
Webseite: www.fruehstueck-bei-monsieur-henri.de
OT: L'étudiante et Monsieur Henri
Frankreich 2015
Regie: Ivan Calbérac
Darsteller: Claude Brasseur, Guillaume de Tonquedec, Noémie Schmidt, Frédérique Bel, Thomas Solivéres, Valérie Kéruzoré
Länge: 98 Min.
Verleih: Neue Visionen
Kinostart: 21.07.2016
FILMKRITIK:
Monsieur Henri (Claude Brasseur) ist ein Griesgram, wie er im Buche steht. In einem fort echauffiert sich der verwitwete Rentner über Gott und die Welt, insbesondere über seinen Sohn Paul (Guillaume de Tonquedec) und dessen Frau Valérie (Frédérique Bel), die er für eine dumme Gans hält. Weil Henri gesundheitlich nicht mehr ganz auf der Höhe und sein Pariser Apartment für eine Person viel zu groß ist, vermietet sein Sohn gegen den Willen des Alten eins der freien Zimmer. Als dann ausgerechnet die junge Studentin Constance (Noémie Schmidt) an der Türschwelle steht, für Henri ein Inbegriff der unfähigen und verlotterten Jugend, lässt der ehemalige Buchhalter die junge Mitbewohnerin freilich nur zähneknirschend einziehen. Sein Unwille bestätigt sich, wenn Constance dreist seine Pantoffeln okkupiert, sich ohne Erlaubnis ans Klavier der verstorbenen Frau setzt oder die Ordnungsliebe des Hausdrachen anderweitig unterwandert. Doch dann kommt dem Alten eine perfide Idee, mit der er seine verhasste Schwiegertochter Valérie (Frédérique Bel) los werden könnte: Constance soll Paul so lange bezirzen, bis dieser seiner Frau den Laufpass gibt. Im Gegenzug darf Constance ein halbes Jahr lang mietfrei in ihrem Zimmer wohnen. Also schiebt die chronisch abgebrannte Studentin ihre moralischen Einwände beiseite und verdreht dem ahnungslosen Paul mit den Waffen der Frauen den Kopf.
Der übersetzte Originaltitel des Films lautet „Die Studentin und Monsieur Henri“, was die zentrale Konfliktlinie absteckt, die zwischen Monsieur Henri und der Studentin Constance verläuft. Dass die Komödie funktioniert, liegt daran, dass Constance dem alten Meckerfritzen Henri im Gegensatz zu den anderen Figuren ordentlich Paroli bieten kann. Während der bittere Rentner seinem gutmütigen Sohn und seiner begriffsstutzigen Schwiegertochter regelmäßig über den Mund fährt, lässt sich die schlagfertige Constance nicht ganz so leicht von den bissigen Kommentaren unterkriegen. Dass die Studentin dem Misanthropen in punkto Schlagfertigkeit und Raffinesse absolut ebenbürtig ist, erweist sich als wesentliche Triebfeder für die Wohlfühlkomödie.
Nach den anfänglichen Reibereien werden die ungleichen Mitbewohner zu Verbündeten, sobald Constance auf Henris unmoralischen Vorschlag eingeht und den armen Paul zur Scheidung verführen will. Bald bringen Henri und Constance immer mehr Verständnis füreinander auf, denn sogar unter Henris beinharter Schale schlummert, wie sollte es anders sein, ein weicher Kern, wozu auch sein Haustier passt: eine Schildkröte. Beide hadern mit verpassten Chancen im Leben. Was bei Henri zu Verbitterung geführt hat, soll bei Constance gar nicht erst so weit fortschreiten. So ermuntert Henri seine junge Mitbewohnerin, ihre aufgegebene musikalische Laufbahn wieder aufzunehmen und avanciert zu einer Art Vaterersatz für die erfolglose Studentin. Ihren Eltern gegenüber einzugestehen, dass sie das Leben in Paris nicht auf die Reihe bekommt, wäre für Constance weit schlimmer als Paul und seine Valérie auseinander zu bringen. Nebenbei thematisiert „Frühstück bei Monsieur Henri“ damit auch die in Paris grassierende Wohnungsnot, die überhaupt dazu führt, dass Constance auf Henris haarsträubenden Vorschlag eingeht.
Filmisch geht Regisseur Ivan Calbérac keine großen Experimente ein, sondern produziert die gewohnten Hochglanzbilder des französischen Mainstreamkinos. Der Fokus liegt ohnehin auf den geschliffenen Dialogen und der Situationskomik, die an die Theaterwurzeln des Stoffs erinnern. Dass „Frühstück bei Monsieur Henri“ nicht nur humorvoll, sondern auch anrührend ist, liegt am Hauptdarsteller-Gespann Claude Brasseur und Noémie Schmidt. Brasseur, der schon für Jean-Luc-Godard vor der Kamera stand und als besorgter Vater von Sophie Marceau im Jugendkomödien-Klassiker „La Boum – Die Fete“ eine ähnliche Rolle spielte, gibt den zeternden Miesepeter mit stechenden Blicken und routinierter Leinwandpräsenz. Die debütierende Schweizerin Noémie Schmidt besteht nicht nur neben dem Altstar, sondern spielt sich mit ihrem natürlichem Charme umstandlos in die Herzen der Zuschauer. Auf den nächsten Kinoauftritt der Lernwanddebütantin darf man jedenfalls gespannt sein.
Christian Horn