Vom Traum, Schauspieler zu werden erzählt Till Harms in seiner Dokumentation "Die Prüfung“, die in der Sektion Perspektive Deutsches Kino bei der diesjährigen Berlinale ihre Weltpremiere erlebte. Prüfer und Prüflinge an der Schauspielschule Hannover werden porträtiert und erzählen freimütig von Ängsten, Hoffnungen und manchmal ganz subjektiven Vorlieben.
Webseite: www.mindjazz-pictures.de
Deutschland 2016 - Dokumentation
Regie: Till Harms
Länge: 96 Minuten
Verleih: Mindjazz Pictures
Kinostart: 19. Mai 2016
FILMKRITIK:
Jahr für Jahr versuchen Hunderte Bewerber, einen Platz an einer der zahlreichen Schauspielschulen Deutschlands zu ergattern, der eine Karriere als Schauspieler zwar nicht garantiert, aber doch sehr wahrscheinlich macht. Welche Emotionen mit der Aufnahme verbunden sind deutet Till Harms gleich in der ersten Szene seiner Dokumentation „Die Prüfung“ an: Mitglieder des Auswahlkomitees sieht man da, die angenommenen Kandidaten die frohe Botschaft telefonisch übermitteln. Beziehungsweise zu übermitteln versuchen, denn auf der anderen Seite der Leitung ist kaum mehr als erleichtertes Jauchzen und Schluchzen zu vernehmen, das andeutet, welche Last hier von Schultern fällt.
Für die allermeisten ist die Hoffnung zumindest an dieser Schauspielschule angenommen zu werden da längst ausgeträumt, sie sind schon in der ersten Bewerbungsrunde gescheitert, vielleicht auch erst in der Zweiten, bei einer Art Recall, wie es auf RTL oder Pro Sieben wohl heißen würde. Denn im Kern ist das, was hier geschildert wird natürlich kaum anders als das, was seit Jahren im Fernsehen hohe Einschaltquoten erreicht: Eine Castingshow. Junge Menschen präsentieren ihre mehr oder weniger großen Talente vor einer Auswahlkommission und hoffen, die Jury überzeugen zu können, um in die nächste Runde zu kommen. Doch schon bei den Gesprächen der Kommissionsteilnehmer hören die Parallelen auf, auch wenn es manchen Juroren angesichts einiger Kandidaten schwerfällt, nicht die Augen zu verdrehen. Doch bei den anschließenden Gesprächen wird sichtlich darauf geachtet, die gescheiterten Kandidaten mit guten Ratschlägen zu entlassen, denn am Ende ist das Bewerten von schauspielerischer Leistung natürlich so subjektiv wie jede Bewertung einer künstlerischen Arbeit.
Dies aufzuzeigen ist der interessanteste Aspekt von „Die Prüfung“, für den die Mitglieder der Schauspielschule Hannover erstaunlich freimütig über ihre jeweiligen Kriterien berichten. Nach der Fähigkeit, auf Regieanweisungen einzugehen wird da etwa gesucht, dem Gespür für eine Situation oder einfach der Lust und Neugier, etwas spielerisch auszuprobieren. So objektiv sich dies oft anhört, am Ende ist die Entscheidung für oder gegen einen Kandidaten oder Kandidatin oft rein subjektiv - und nicht zuletzt erotisch geprägt. Sehr pointiert zeigt Harms nach einer diesbezüglichen Offenbarung einer der Prüferinnen Situationen, in denen zumindest unterschwellig körperliche Anziehung eine Rolle spielt: Die Begeisterung eines männlichen Prüfers für eine offensichtlich sehr attraktive Kandidatin kann seine weibliche Kollegin genauso wenig nachvollziehen, wie umgekehrt die Faszination, die ein attraktiver männlicher Kandidat auf eine Prüferin ausübt, die ihn immer wieder mit einem gewissen Funkeln in den Augen als „guten Typ“ bezeichnet.
Nicht das diese rein äußerlichen Qualitäten die wichtigsten Kriterien wären. Doch angesichts der Bedeutung, die diese Prüfung für immer wieder neue, ambitionierte Schauspieler hat, ist es einerseits desillusionierend, andererseits auch sehr menschlich, wie objektive mit subjektiven Kriterien verschmelzen, wie sehr die Tagesform und damit der Zufall entscheidet. All diese Aspekte zeigt Till Harms in „Die Prüfung“ auf, einer gut beobachteten, subtilen Dokumentation.
Michael Meyns