Das deutsch-georgische Regie-Paar Nana Ekvtimishvili und Simon Groß sorgt mit seinem Erstling für Aufsehen. Der Film war der georgische Beitrag zur Oscar-Verleihung 2013 und wurde bei Festivals weltweit mit 28 Preisen ausgezeichnet. Dabei erzählen die beiden eine vermeintlich einfache Geschichte: Zwei Teenager wachsen 1992 im durch Krisen und Krieg zerrütteten Georgien auf. Die beiden Mädchen suchen ihre Identität in einem Land, das seine eigene verloren hat.
Webseite: www.dielangenhellentage.de
Deutschland/Frankreich/Georgien 2013
Regie: Nana Ekvtimishvili, Simon Groß
Buch: Nana Ekvtimishvili
Darsteller: Mariam Bokeria, Lika Babluani, Data Zakareishvili, Zurab Gogaladze, Ana Nijaradze
Kamera: Oleg Muti
Länge: 102 Minuten
Verleih: bemovie
Kinostart: 21. August 2014
FILMKRITIK:
Natia (Mariam Bokeria) und Eka (Lika Babluani) sind vierzehn Jahre alt und unzertrennliche Freundinnen. Die beiden halten zusammen: In der Schule, wenn die strenge Lehrerin wieder ungerecht ist, und gegenüber den Eltern, die kein Verständnis für ihre Bedürfnisse haben. Natias Vater trinkt und streitet ständig mit ihrer Mutter, Ekas allein erziehende Mutter verheimlicht, warum ihr Vater im Gefängnis sitzt. Vorbilder haben sie keine, im Gegenteil: die Gesellschaft scheint immer mehr zu zerfallen. Natias Verehrer Lado (Data Zakareishvili) schenkt ihr eine Pistole, damit sie sich im Ernstfall verteidigen kann. Sie gibt die Waffe an Eka weiter – sie soll sich endlich gegen die Nachbarjungen wehren, die sie auf dem Heimweg von der Schule terrorisieren. Kaum verlässt Lado Tiflis, um in Moskau Geld zu verdienen, entführt der aggressive Kote (Zurab Gogaladze) Natia und überredet sie, ihn zu heiraten. Von nun an muss sie ihm gehorchen und geht nicht mehr in die Schule. Natias und Ekas Freundschaft wird einer harten Probe unterzogen.
Nana Ekvtimishvili führt mit Simon Groß in Tiflis nicht nur eine erfolgreiche Eisdielen-Kette, sie hat als Schriftstellerin auch schon einige Romane veröffentlicht. Das merkt man dem Drehbuch an, das von ihrer eigenen Jugend in Tiflis inspiriert wurde. „Die langen hellen Tage“ erreicht eine erzählerische Dichte, die sich fast mit Händen greifen lässt. Das liegt vor allem daran, dass Ekvtimishvili und Groß eine eigentlich alltägliche Geschichte erzählen, die aber in dramatische Umstände eingebettet ist. Der Beinahe-Zusammenbruch Georgiens verbleibt an der Peripherie des Dramas, erahnbar durch Berichte im Radio, bewaffnete Männer in den Straßen, Erwachsene, die mit ihrem Verhalten jede moralische Autorität verspielen. Wie existenziell die Krise ist, zeigen exemplarisch zwei lange Sequenzen, die in einer Schlange vor einer Bäckerei spielen.
Diese Sequenzen zeigen außerdem die stilistischen Qualitäten, die „Die langen hellen Tage“ auszeichnen. Die Handkamera drängt sich mitten in die Masse aus schwitzenden, schimpfenden Menschen, sie vermittelt ganz unmittelbar, was es heißt, in der glühenden Sommersonne für Brot anzustehen. Die Kamera bleibt immer nah an den Protagonisten, sie folgt ihnen überall hin, saugt sich fast an den Gesichtern fest. Ekvtimishvili und Groß schneiden nur, wenn es nötig ist, und so entstehen lange Plansequenzen, die den Zuschauer in das Geschehen setzen. Dass die Bildsprache an die drängenden Dramen des rumänischen Kinos erinnert, ist kein Zufall. Die Kamera führte Oleg Muti, der unter anderem auch schon Cristian Mungius „4 Monate, 3 Wochen und 2 Tage“ fotografierte.
Die Bildsprache heischt allerdings nicht nach der Aufmerksamkeit des Zuschauers, sie intensiviert nur die Geschichte. Wie gebannt folgt er dem Schicksal Natias und Ekas, die mangels Vorbildern selbst herausfinden müssen, wer sie sind und was sie wollen. In einer Gesellschaft, die zerrissen ist von Gewalt und Chauvinismus, von Ratlosigkeit und Armut suchen sie ihren eigenen Weg. Aber die beiden Mädchen sind stark und stolz – ihnen bei ihrer Suche zuzusehen, macht auch Menschen Mut, die in einfacheren Verhältnissen leben.
Oliver Kaever