Ralf Pleger (Emmy-Nominierung für „Wagnerwahn“) hat sich diesmal den schillerndsten Paradiesvogel der Opernszene vorgenommen: Florence Foster Jenkins, eine Frau, die nicht singen konnte und dennoch – oder vielleicht gerade deswegen – ihr staunendes Publikum immer wieder verblüffte und begeisterte. Und das bis heute! Seit Ende der 90er Jahre die ersten Theaterstücke über sie erschienen, inspiriert das Schicksal der Florence Foster Jenkins Kreative auf der ganzen Welt. Nach mehreren Spielfilmen, zuletzt von Stephen Frears mit Meryl Streep in der Hauptrolle, folgt nun ein Dokumentarfilm. Im Vordergrund steht die Frage, ob Florence Foster Jenkins wusste, dass sie nicht singen konnte, und wenn nein, warum nicht. Mögliche Antworten verknüpft Ralf Pleger mit Interviews und Spielszenen, in denen sich Belcanto und schräge Töne treffen. So entsteht auf originelle Weise eine ebenso unterhaltsame wie elegante Verbindung zwischen Realität und Traum, zwischen Sein und Schein.
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Deutschland 2016 - Dokumentarfilm
Regie und Buch: Ralf Pleger
Darstellerin: Joyce di Donato als Florence Foster Jenkins
Kamera: Christoph Valentien
90 Minuten, OmU.
Verleih: Edition Salzgeber
Kinostart: 10. November 2016
FILMKRITIK:
Schon die Ausgangsposition für diesen Film ist spannend, denn warum interessieren sich heute noch so viele Menschen für eine Künstlerin, die eigentlich nichts konnte? Und warum liebt das Publikum die Versager manchmal mehr als die Perfektionisten? – Für dieses Phänomen gibt es einen Namen: Camp.
Die Camp-Ästhetik hat nichts mit Zelten oder Wohnwagen zu tun. Spätestens seit den 80er Jahren gibt es eine Art Camp-Kult, der sich folgendermaßen beschreiben lässt: so schlecht, dass es schon wieder gut ist. Im Kino gibt es zahlreiche Fans der „schlechtesten Filme aller Zeiten“, die es zu unerwartetem Ruhm gebracht haben. Auf einem der Spitzenplätze liegt „Plan 9 from Outer Space“ („Plan 9 aus dem Weltraum“) des Regisseurs Ed Wood; er war so etwas wie die Florence Foster Jenkins des Hollywoodfilms. Tim Burton verfilmte sein Leben mit Johnny Depp in der Hauptrolle. Und auch hier geht es um die Frage: Merken diese Leute denn gar nicht, wie schrecklich das ist, was sie tun und dass sie sich lächerlich machen? – Die Antwort lautet stets: Nein, sie merken es nicht. Denn sonst würden sie sofort damit aufhören. Aber sie machen weiter. Die Begeisterung für ihre Kunst trägt sie. Fans haben ein sehr gutes Gespür für die Authentizität dieser Menschen. Es geht ihnen nicht um kommerzielle Interessen, sie leben für ihre Leidenschaft. Und wer glaubt, er könne sich mit einem absichtlich schlechten Produkt eine goldene Nase verdienen, der wird vermutlich scheitern. Siehe „The Producers“ bzw. „Frühling für Hitler“ – ebenfalls ein Beispiel für Camp bzw. High Camp. Zudem beschreibt Camp auch einen absichtlich übertriebenen ästhetischen Ausdruck. Einer der Ursprünge für Camp im Sinne von Übertreibung wäre Mae West mit ihrer sexualisierten Ironie – die Verbindung der schwulen Subkultur zu Camp und High Camp nahm vielleicht hier ihren Anfang.
Florence Foster Jenkins vereint in ihrer Person alles, was sich mit Camp verbinden lässt: eine überbordende Ästhetik in ihren Kostümen und Bühnenbildern, bis hin zu ungeheuer aufwändigen und atemstockend kitschigen „lebenden Bildern“, dazu eine unstillbare Leidenschaft für den klassischen Gesang, gepaart mit vollkommener Talentlosigkeit, und der ungebrochene Glaube an die eigenen Fähigkeiten. Ralf Pleger nimmt als Ausgangspunkt das legendäre Konzert der damals 76-Jährigen in der Carnegie Hall im Jahr 1944. Es war ihr erstes und gleichzeitig ihr letztes großes Konzert, denn kurz darauf starb sie. Zeitzeugen kommen zu Wort, ebenso Biographen, Musikwissenschaftler und Verwandte der Diva, die bis heute ihr Erbe hüten.
Pleger gelingt es, durch die Kombination von Interview- und Spielszenen eine sehr eigene und eigenartige Atmosphäre zu schaffen, in der sich Glamour, Charme, Nostalgie, Tragik und Lächerlichkeit begegnen. In den „lebenden Bildern“, mit denen die Sängerin ihre Auftritte schmückt, zeigt er eine überbordende, leicht schwülstige Ästhetik, so wie – nach allen Quellen – Florence Foster Jenkins sie schätzte. Leicht bekleidete junge Männer gehören dazu, ebenso eine zuverlässig exzentrische Dekoration. Und mittendrin die Diva in Gewändern, die sämtliche Travestie-Show-Kostümbildner dieser Erde vor Neid erbleichen lassen. Dabei spielt und singt Joyce di Donato, eine der bekanntesten Mezzosopranistinnen, die Florence Foster Jenkins – und das ist ein sehr geschickter dramaturgischer Einfall, denn auf diese Weise zeigt Ralf Pleger die Sängerin so, wie sie sich möglicherweise selbst gehört hat. Im Gegensatz dazu stehen die verblüffend grauenhaften Original-Tonaufnahmen. Ralf Pleger stellt einige der gängigsten Theorien vor, anhand derer Musikwissenschaftler und –liebhaber bis heute das Phänomen Florence Foster Jenkins erforschen. Doch geht es ihm weniger darum, alle Fragen zu klären, als vielmehr um die Persönlichkeit hinter der Maske. So enthüllt sich mehr und mehr das Bild einer extravaganten Frau, die für ihre Kunst gelebt hat und damit tragisch gescheitert ist, möglicherweise sogar, ohne es selbst zu bemerken. Das ist dann alles wirklich spannend, sehr kurzweilig und ein wunderbarer Augen- und Ohrenschmaus.
Gaby Sikorski