Der „Fall Jens Söring“ machte Anfang der 1990er-Jahre in der hiesigen Tagespresse Schlagzeilen, denn immerhin wurde hier ein deutscher Staatsbürger in den USA für einen Doppelmord angeklagt und zu zweimal lebenslänglich verurteilt. Bis heute beteuert Söring allerdings seine Unschuld. In ihrem Dokumentarfilm „Das Versprechen“ rollen Karin Steinberger und Marcus Vetter den Fall neu auf und verweisen auf einige Ungereimtheiten, die Zweifel an Sörings Schuld aufkommen lassen. Zugleich liefert die Doku, die ihre Weltpremiere auf dem 34. Filmfest München feierte, Einblicke in die Mühlen der Justiz, die hier bisweilen zum Politikum avancieren.
Webseite: www.das-versprechen.de
OT: Das Versprechen – Erste Liebe lebenslänglich
Deutschland, USA 2016
Regie: Karin Steinberger, Marcus Vetter
Mitwirkende: Jens Söring, Gail Ball, Tom Elliott, Daniel Brühl, Imogen Poots, Gail Marshall, Ricky Gardner
Länge: 130 Min.
Verleih: Farbfilm Verleih
Kinostart: 27. Oktober 2016
FILMKRITIK:
Im März 1985 schreckte ein brutaler Doppelmord den US-Bundesstaat Virginia auf. Die Eheleute Derek und Nancy Haysom wurden erstochen in ihrem Haus aufgefunden, die Köpfe von der hohen Zahl und schieren Wucht der Einstiche fast abgetrennt. Der Verdacht fiel bald auf Elizabeth Haysom, die 20-jährige Tochter der Ermordeten, und ihren zwei Jahre jüngeren Liebhaber Jens Söring, der 1984 zum Studieren von Deutschland in die USA gekommen war. Als die beiden gemeinsam die Flucht antraten, schien der Fall sicher. Nach einem Aufenthalt in Asien wurden die Flüchtigen 1986 in London verhaftet, wo sie wegen Scheckbetrugs aufgefallen waren. Die Auslieferung des Deutschen Söring an die USA erfolgte im Jahr 1990, nachdem zugesichert wurde, dass ihm nicht die Todesstrafe drohte. Wie Elizabeth Haysom wurde Jens Söring bei seinem anschließenden Prozess zu einer Strafe von zweimal lebenslänglich verurteilt und sitzt seitdem hinter Gittern.
„I'm innocent“, beteuerte Jens Söring in seinem letzten Wortbeitrag vor Gericht und weicht bis heute nicht von seiner Unschuldsbekundung ab. Söring sieht sich als Opfer der intriganten Elizabeth und seines jugendlichen Leichtsinns. Das Geständnis hat er eigenen Angaben zufolge nur getätigt, um seine damalige Freundin vor dem elektrischen Stuhl zu bewahren. Söring hatte fälschlicherweise angenommen, dass ihn die politische Immunität seines Diplomatenvaters schützen würde. Das tat sie nicht und so brachte ihn sein später revidiertes Geständnis ins Gefängnis. Seine zahlreichen Anträge auf eine Haftüberstellung nach Deutschland wurden allesamt abgewiesen. Im Jahr 2010 hatte der demokratische Gouverneur Timothy M. Kaine einer Haftüberstellung mit Aussicht auf Bewährung zugestimmt, die sein republikanischer Amtsnachfolger jedoch revidierte.
Die zentralen Referenzpunkte der Dokumentation sind Videomitschnitte der Gerichtsverhandlungen von Elizabeth Haysom und Jens Söring und ein im Buckingham Correctional Center in Virginia geführtes Interview mit Söring (Haysom zeigte sich nicht zu einem Gespräch bereit). Zusätzlich lesen Daniel Brühl und Imogen Poots die Liebesbriefe ein, die sich Jens Söring und Elizabeth Haysom geschrieben haben und die von einer obsessiven Liebe zeugen.
So klar der Fall auf den ersten Blick und vor allem wegen der gemeinsamen Flucht erscheinen mag, so viele Ungereimtheiten tun sich bei einer genaueren Betrachtung auf. Geradezu skandalös erscheint die Befangenheit des Richters, der mit der Familie Haysom befreundet war. Außerdem tauchte im Jahr 2011 ein Zeuge auf, der nicht vor Gericht angehört wurde: Ein Automechaniker, der Elizabeth Haysom in Begleitung eines Mannes gesehen haben will, der nicht Söring war, und ein blutiges Messer und Blutspuren im Auto der jungen Frau entdeckt haben will. Auch die damals konservierten und 2009 analysierten DNA-Spuren entlasten Söring, da ihm keine der am Tatort sichergestellten Spuren zugeordnet werden kann. Auch nicht der blutige Sockenabdruck, der vor Gericht als wichtiger Indizienbeweis galt und die Geschworenen von Sörings Schuld überzeugte.
„Das Versprechen“ beginnt mit einer objektiven Schilderung des Mordfalls, die an True-Crime-Formate der Marke „Medical Detectives“ erinnert – blutige Tatort-Fotos und konspirative Musik inklusive. Peu à peu schwenkt die Darstellung auf Sörings Sichtweise. Die Filmemacher scheinen an seine Unschuld zu glauben. Als Zuschauer hegt man am Ende ebenfalls Zweifel an Sörings Schuld, kann sich aber auch das Gegenteil vorstellen. Die Wahrheit liegt weiterhin irgendwo da draußen.
Christian Horn