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Das Duell um die Krone des Schachweltmeisters zwischen dem amerikanischen Exzentriker Bobbie Fischer und dem sowjetischen Ausnahmespieler Boris Spasski hielt 1972 die Welt in Atem. Es ist der Höhepunkt der sportlichen Karriere Fischers. Seine Entdeckung und seinen Aufstieg vom Wunderkind mit phänomenaler mathematischer Vorstellungskraft zum eigensinnigen Idol verdichtet der amerikanische Regisseur Edward Zwick (Blood Diamond, Der letzte Samurai) zu einem faszinierenden Biopic über den schmalen Grat zwischen Genie und Wahnsinn. Tobey Maguire brilliert als paranoider Bobby Fischer, Liev Schreiber als sein äußerlich gelassener Gegner Boris Spasski sowie Peter Sarsgaard als Fischers geduldiger Schachlehrer in einem Film über das Spiel der Könige, das in der Ära des Kalten Krieges ein Prestigeduell der Supermächte ist.
Webseite: www.studiocanal.de
OT: Pawn Sacrifice
USA 2015
Regie: Edward Zwick,
Darsteller: Tobey Maguire, Liev Schreiber, Peter Sarsgaard, Lily Rabe
Länge: 114 Min.
Verleih: Studiocanal
Start: 28. April 2016
FILMKRITIK:
Reykjavik im Sommer 1972. Die Welt blickte gebannt auf ein Schachbrett in einem Tischtennis-Raum. Amerikas Schach-Sonderling Bobby Fischer hatte den abgelegenen Ort für das Jahrhundert-Match gegen seinen Rivalen Boris Spasski nach einem bizarren Psycho-Spiel durchgesetzt. Der Russe und der Schiedsrichter waren pünktlich zur ersten Partie im Auditorium der Stadthalle angetreten. Nur der 29jährige Fischer fehlte. Der Russe zog einen Bauern. Erst nach endlosen Minuten des Wartens, in der die Uhr für den ersten Zug Fischers gnadenlos runterläuft, erschien sein Herausforderer. Nachdem Fischer das erste Spiel verloren hatte, klagte er über das Surren der Kameras und die Atemlaute der Zuschauer. Zur zweiten Begegnung trat er nicht an. Um das Spektakel zu retten, gab die Weltschachföderation Fischers Forderungen nach der Verlegung in einen Raum ohne Publikum nach.
Fischer kämpft in diesen Wochen nicht nur mit Spasski. Seit Jahren ringt er mit den eigenen Dämonen. Der Hass auf die Russen und den Kommunismus prägte sein Leben. Schon als Teenager terrorisierte er seine Mutter, die sich für die Linke engagierte. Sie war früh mit der Erziehung des hochbegabten Jungen überfordert, der einen IQ von 186 hatte. Bobby hatte keine Freunde und war in der Schule der Außenseiter. Im Schach fand er schon als Sechsjähriger seine Berufung. Mit 14 war er Meister der USA, ein Jahr später der jüngste Großmeister aller Zeiten. Von da an ordnete Fischer sein Denken und Handeln einem Ziel unter: den als unschlagbar geltenden Russen die Weltmeisterkrone abnehmen.
Die Rückblenden in die schwierige Kindheit Fischers dominieren die erste Stunde des spannenden Films von Edward Zwick. Seine Biopics stehen stets in einem brisanten historischen Kontext und beschwören detailreich die Atmosphäre der Zeit. In „Glory“ erschlossen sich über das Gefühl eines Soldaten dunkler Hautfarbe die Schrecken des amerikanischen Bürgerkrieges. In „Der letzte Samurai“ verband er das Schicksal eines versoffenen US-Ex-Soldaten mit dem Untergang der Kultur der japanischen Kriegerkaste. Der Thriller „Blood Diamond“ beleuchtete die Hintergründe des schmutzigen Diamantenhandels. Und in „Unbeugsam – Für meine Brüder, die niemals aufgaben“ porträtierte er ein Bruder-Trio jüdischen Glaubens aus Weißrussland, das sich nach dem Einmarsch der Nazis mit Leidensgenossen im Wald versteckte und dem Holocaust entkam.
In diesem Drama zeichnet er den Medienhype um das Duell Spasski gegen Fischer nach. In einer Welt, in der Sportler Diplomaten in Trainingsanzügen waren, wird das Match auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs propagandistisch zum Wettkampf zwischen dem kommunistischen Imperium und der freien Welt aufgeblasen. Gebannt verfolgten Millionen Fans jeden Zug aus Reykjavik - auf dem New Yorker Times Square ebenso wie auf dem Roten Platz. Schach war damals in.
Doch Fischer ist nicht der Typ des all american Glamourboys, der die Nation stolz macht. Neben dem Schachbrett verhält sich das Genie wie ein unfreundliches Ekelpaket, das mit seiner Arroganz und seinem Egoismus seine Mutter und später seine Mitstreiter drangsaliert. Zeitlebens fühlt er sich unverstanden und verfolgt. Zunehmend kapselt er sich ab, Züge einer paranoiden Persönlichkeitsstörung zeichnen sich ab.
Es ist Tobey Maguire Interpretation von Fischers Persönlichkeit zu verdanken, dass der Zuschauer diesem unsympathischen Typ fasziniert folgt. Der mittlerweile 40jährige Schauspieler hatte sich nach dem Ende des „Spiderman“-Franchise auf der Leinwand rar gemacht und in kleinen Rollen geglänzt. Zuletzt war er als Chronist der Exzesse von Leonardo di Caprio in der Neuinterpretation von Francis Scott Fitzgeralds „Großem Gatsby“ zu sehen.
Diesen Film hat er produziert und er übernimmt Fischers Part mit dem Teenageralter. Was nur aufgeht, weil er sein Babyface behalten hat, das kein Wässerchen trüben kann. Als Schauspieler trägt er den Film über alle Klippen hinweg und feiert ein großartiges Comeback.
Katharina Dockhorn