Nun also wieder eine Literaturverfilmung: Nach „Willenbrock“ nimmt sich Andreas Dresen diesmal mit „Als wir träumten“ des Romans von Clemens Meyer über eine Jugend-Clique in der Nachwendezeit in Leipzig an. Das Drehbuch schrieb der große Wolfgang Kohlhaase. Vor der Kamera versammelt Dresen eine Horde Jungschauspieler, deren (noch) unbekannte Gesichter die düstere Geschichte von neuen Freiräumen und freiem Fall antreiben. Der Mauerfall und die Zeit danach werden zu einer ungeheuren menschlichen Erfahrung. Für kurze Zeit scheint alles möglich. Und selbst, als dieser Moment vergangen ist, bleibt seine Wahrheit doch zurück. Insofern ist Dresen wieder ein Film gelungen, der in seinem Kern von einem tiefen Optimismus durchzogen ist. Aller Düsternis zum Trotz.
Webseite: www.alswirtraeumten.de
Regie: Andreas Dresen
Buch: Wolfgang Kohlhaase
Produzent: Peter Rommel
Darsteller: Merlin Rose, Joel Basman, Julius Nitschkoff, Frederic Haselon, Marcel Heuperman, Ruby O. Fee
Länge: 117 Minuten
Verleih: Pandora Filmverleih
Kinostart: 26. Februar 2015
FILMKRITIK:
Nach dem Mauerfall ist die Peripherie von Leipzig gleichzeitig ein Ort der Freiheit, der Verlorenheit – und Kriegsschauplatz. Inmitten der Trümmer eines Staatssystems suchen Dani (Merlin Rose), Mark (Joel Basman), Rico (Julius Nitschkoff), Paul (Frederic Haselon) und Pitbull (Marcel Heuperman) ihre Zukunft. Alles scheint möglich. Aber alle Wege drohen auch, im Nichts zu enden. Die Fünf stehlen Autos und fahren sie zu Schrott, sie beklauen eine Oma aus der Nachbarschaft, schleppen für sie aber auch Kohlen, und sie legen sich mit dem Neonazi „Schneeleopard“ (Thomas Brandt) und seinem Gefolge an. Schließlich beschließen sie, einen Underground-Technoclub zu eröffnen. Doch Schneeleopard will seinen Anteil und beginnt eine brutale Jagd auf die Gang.
Am Anfang steht das Ende, in einem dunklen, verfallenen Kino. Alle Träume sind hier Vergangenheit, die Gegenwart die große Desillusion. Aber wer Andreas Dresens Filme kennt, der weiß, dass es für ihn auch aus der größten Düsternis einen Weg zurück ans Licht gibt. Wo entlang dieser Weg führen könnte, das liegt aber meist außerhalb der Erzählwelt. Der Zuschauer muss sich schon selbst auf die Suche machen.
Nach dem schmerzhaft intensiven Krebs-Drama „Halt auf freier Strecke“ also wieder ein fordernder Stoff. Aber auch eine Bühne für Dresens Inszenierungskunst. Er tauscht Handkamera und Improvisation wieder ein gegen klassisches Filmhandwerk, wie schon 2005 bei „Willenbrock“. In „Als wir träumten“ geht es für Dresens Verhältnisse heftig zur Sache, mit Schlägereien und Verfolgungsjagden. Die fiebernde Prosa von Meyers Roman übersetzt er in eine dynamische Bildsprache, die immer nah dran bleibt an seinen Protagonisten, nah dran an der Straße, an den Verhältnissen. Und doch bleibt da eine gewisse Distanz zum Geschehen spürbar. Hier schaut einer zu, der nicht Teil des Geschehens ist.
Interessant an „Als wir träumten“ ist, dass es sich um ein Generationenprojekt handelt. Meyer ist Mitte 30, Dresen über 50 und Wolfgang Kohlhaase 80 Jahre alt. Was in diesem Film in den Mittelpunkt gerät, ist also nicht das Spezifische wie die Techno-Szene Anfang der Neunziger. Dresens Film reklamiert keinen Preis für Authentizität für sich, zumindest nicht in diesem Sinne. Das Gespann ist auf der Suche nach einer anderen, tieferen Erkenntnis, einer menschlichen, die die Generationen verbindet.
Was passiert mit uns, wenn wir aus der Zeit fallen? Wenn ein Paradigmenwechsel alle geglaubten oder uns aufgebürdeten Wahrheiten davon fegt? Bleibt Platz für die Utopie? Oder reißt uns die Welt einfach mit in ihrem unaufhaltsamen Taumel? Wie immer in Dresens Filmen bleiben am Ende mehr Fragen als Gewissheiten. Aber zumindest Wahrheitssplitter finden sich immer, und immer sind sie in den Figuren selbst eingeschlossen. Der Mauerfall und die Zeit danach werden in „Als wir träumten“ zu einer ungeheuren menschlichen Erfahrung. Für kurze Zeit scheint alles möglich. Und selbst, als dieser Moment vergangen ist, bleibt seine Wahrheit doch zurück. Insofern ist Dresen wieder ein Film gelungen, der in seinem Kern von einem tiefen Optimismus durchzogen ist. Aller Düsternis zum Trotz.
Oliver Kaever